Die Londoner Sudan-Konferenz
Eine von Deutschland mitveranstaltete Konferenz zum Krieg im Sudan wird scharf kritisiert: Auswärtige Interessen hätten im Mittelpunkt gestanden; nichts sei gegen drohende Massaker in Darfur unternommen worden.
KHARTUM/BERLIN/LONDON (Eigener Bericht) – Eine von Deutschland mitveranstaltete Konferenz zum Krieg im Sudan stößt bei Hilfsorganisationen sowie sudanesischen Aktivisten auf scharfe Kritik. Die in London abgehaltene Konferenz hatte in der vergangenen Woche nur zur Zusage von humanitärer Hilfe durch europäische Staaten, darunter die Bundesrepublik, geführt. Politischer Fortschritt blieb aus. Insbesondere wurden keine Schritte eingeleitet, um einen drohenden Massenmord in der westsudanesischen Region Darfur zu verhindern, wo die Bürgerkriegsmiliz RSF (Rapid Support Forces) schon in den ersten Kriegsmonaten mehr als 10.000 Angehörige einer schwarzafrikanischen Bevölkerungsgruppe, der Masalit, umbrachte. Aktuell sind die RSF dabei, die letzte Stadt in Darfur, die sie noch nicht kontrollieren, zu erobern. Beobachter fürchten einen Genozid. Erstarken konnten die RSF unter anderem dank Maßnahmen der EU zur Flüchtlingsabwehr im Sudan. Experten stufen die Tatsache, dass Regionalmächte wie Ägypten oder die Vereinigten Arabischen Emirate führenden Einfluss im Sudan haben und der Westen die Kontrolle über das Geschehen verloren hat, als ein Beispiel für den Übergang zu einer „multipolaren Welt“ ein.
Tod, Flucht und Hunger
Der aktuelle Krieg im Sudan begann, als am 15. April 2023 die Rapid Support Forces (RSF) die regulären sudanesischen Streitkräfte (Sudanese Armed Forces, SAF) angriffen und große Teile der Hauptstadt Khartum, die westsudanesische Region Darfur sowie weitere Gebiete unter ihre Kontrolle brachten. Zuvor hatten sich die RSF und die Streitkräfte die Macht im Land mehr oder weniger geteilt. Als wichtiger Auslöser für den Krieg gilt die Weigerung der RSF – ihre Stärke wurde damals auf gut 70.000 Milizionäre oder sogar mehr geschätzt –, sich in die sudanesische Armee eingliedern zu lassen. Der Krieg wurde – und wird – laut Auskunft von Beobachtern von beiden Seiten mit äußerster Brutalität geführt. Die Opferzahlen sind immens. Bereits im vergangenen Jahr gingen UN-Repräsentanten offiziell von bis zu 150.000 Todesopfern aus. Nach Angaben des UNHCR befinden sich aktuell nahezu 12,7 Millionen Sudanesen auf der Flucht – rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung von wohl 50 Millionen. Mehr als 3,8 Millionen sind ins Ausland geflohen, die mit Abstand meisten nach Ägypten, Südsudan und Tschad. Rund die Hälfte der Bevölkerung leidet, wie die NGO Médecins sans frontières (MFS) feststellt, unter einer unsicheren, unzulänglichen Nahrungsmittelversorgung. 8,5 Millionen sind von einer akuten Notlage oder gar einer Hungersnot bedroht.[1]
Die Unterstützer der RSF
In der Vorgeschichte des Kriegs im Sudan wie auch in seinem Verlauf haben auswärtige Staaten, wie in so vielen anderen Konflikten, eine verhängnisvolle Rolle gespielt. Die RSF, 2013 gegründet, konnten auch deshalb erstarken, weil sie sich an Bestrebungen beteiligten, ostafrikanische Flüchtlinge, die das Land auf dem Weg in Richtung Mittelmeer durchquerten, festzusetzen und sie nach Möglichkeit in ihre Herkunftsländer zurückzuschieben. Angestoßen wurden diese Bestrebungen ab November 2014 im sogenannten Khartum-Prozess der EU, die Berichten zufolge allein bis Anfang 2018 rund 200 Millionen Euro für die Flüchtlingsabwehr an den Sudan gezahlt hat.[2] Zwar gibt die EU an, die RSF nie direkt finanziert zu haben. Beobachter weisen allerdings darauf hin, dass die RSF ihre Schritte in enger Abstimmung mit Khartum unternahmen und, wenn nicht direkt, so doch indirekt von den Zahlungen der EU profitierten.[3] Später stellten die RSF im Jemen-Krieg Truppen für die Vereinigten Arabischen Emirate; dies spülte nicht nur viel Geld in ihre Kassen, es verschaffte ihnen auch Kriegserfahrung, die sie seit April 2023 im eigenen Land nutzen können. Die Vereinigten Arabischen Emirate gelten bis heute als maßgeblicher Unterstützer der RSF, die sie nicht zuletzt über einen Stützpunkt im Osten des Tschads mit Waffen versorgen.[4]
Massaker in Darfur
Zuletzt haben im Sudan beide Bürgerkriegsparteien energische Vorstöße unternommen. Den Streitkräften ist es gelungen, die Hauptstadt Khartum inklusive des strategisch wichtigen Flughafens und des symbolisch bedeutenden Präsidentenpalastes zurückzuerobern. Den RSF, die abziehen mussten, wirft die Führung der Streitkräfte vor, diverse Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung begangen zu haben; man habe Folterverliese und Massengräber entdeckt, heißt es.[5] Die RSF wiederum suchen den Verlust von Khartum durch die Eroberung von Al Fashir auszugleichen, der Hauptstadt des Bundesstaates Nord-Darfur. Nord-Darfur ist einer von fünf Bundesstaaten, die zusammen die im Westen des Sudans an der Grenze zu Tschad gelegene Großregion Darfur bilden. Die RSF kommen ursprünglich aus Darfur; sie gehen auf die – arabischen – Janjaweed-Milizen zurück, die ab dem Jahr 2003 in Darfur Angehörige der schwarzafrikanischen Bevölkerungsgruppen (Masalit, Fur, Zaghawa) massakrierten. Ihrem Morden, das weithin als Genozid eingestuft wurde, fielen damals laut Schätzungen zwischen 200.000 und 300.000 Menschen zum Opfer. Aktuell dient Darfur den RSF zum einen als eine sichere Rückzugsbasis, zum anderen als Logistikdrehscheibe – sie beziehen einen Großteil ihrer Waffen über den westlich unmittelbar angrenzenden Tschad.
Erneute Mordbrennereien
Seit einiger Zeit werden dabei Warnungen vor einem erneuten Massenmord in Darfur laut. Bereits zu Beginn des Krieges hatten die RSF, als sie weite Teile Darfurs unter ihre Kontrolle brachten, zahllose Angehörige insbesondere der Masalit massakriert; von mindestens 10.000, womöglich sogar 15.000 schwarzafrikanischen Todesopfern insbesondere in der Stadt Al Junaina und ihrer Umgebung war die Rede. Das kanadische Raoul Wallenberg Centre for Human Rights stufte die Mordbrennereien im April 2024 explizit als Genozid ein.[6] Bei dem Versuch der RSF, Al Fashir zu erobern, könnten sich die Massaker wiederholen, heißt es unter Beobachtern einhellig. In Al Fashir leben aktuell, Flüchtlinge inklusive, wohl eine Million Menschen oder sogar mehr. Als die RSF vor zehn Tagen das Flüchtlingslager Zamzam unweit Al Fashir eroberten – dort lebten rund 700.000 Menschen –, ermordeten sie Hunderte; die genaue Zahl der Todesopfer ist unbekannt. Bis zu 400.000 Bewohner des Lagers Zamzam flohen erneut.[7] Die RSF setzen aktuell ihre Angriffe auf Al Fashir fort; und während sie am 15. April, dem Tag der Londoner Sudan-Konferenz, eine Gegenregierung für Sudan ausriefen [8], fallen dem RSF-Beschuss von Al Fashir zahlreiche weitere Menschen zum Opfer – vor allem Schwarzafrikaner.
Die Interessen äußerer Mächte
Vor diesem Hintergrund wird die Londoner Sudan-Konferenz vom Dienstag vergangener Woche (15. April), die von Großbritannien organisiert und von Deutschland, Frankreich, der EU und der Afrikanischen Union (AU) mitgetragen wurde, scharf kritisiert. In London und in Berlin hieß es nach der Konferenz stolz, man habe umfangreiche Nothilfe zugesagt; so habe etwa Großbritannien rund 140 Millionen Euro bereitgestellt, Deutschland 125 Millionen. Außenministerin Annalena Baerbock forderte „internationalen Druck“, um beide Seiten nun „endlich an den Verhandlungstisch“ zu bringen.[9] In einer abschließenden Erklärung der Veranstalter hieß es, man unterstütze „Anstrengungen, eine friedliche Lösung zu finden“.[10] Beobachter dagegen stufen die Konferenz als einen „diplomatischen Flop“ ein und verweisen darauf, dass es nicht gelang, auch nur die geringsten Schritte einzuleiten, um den drohenden Massenmord in Darfur zu verhindern. Das Sudan Transnational Consortium, eine Organisation, in der sich sudanesische Aktivisten zusammengeschlossen haben, wies zudem darauf hin, dass weder Sudans Regierung noch zivile Zusammenschlüsse aus dem Land nach London geladen wurden; das zeige, hieß es, dass es den Staaten Europas lediglich darum gehe, die Interessen äußerer Mächte zu bedienen.[11]
Die multipolare Ära
Dabei zeigt der Krieg im Sudan, dass die einstige westliche Dominanz weltweit mehr und mehr schwindet. Als maßgebliche äußere Mächte im sudanesischen Krieg werden allgemein Ägypten und Saudi-Arabien als führende Unterstützer der Streitkräfte und die Vereinigten Arabischen Emirate als wichtigster Helfer der RSF genannt. Weder die europäischen Länder noch die Vereinigten Staaten üben relevanten Einfluss auf eine der beiden Seiten aus. Die International Crisis Group, eine weltweit vernetzte, prowestliche Denkfabrik, wies schon im Juni 2023 darauf hin, dass im Sudan heute „vor allem nichtwestliche ‘Mittelmächte‘“ den Ton angäben. Das reflektiere „die globalen Machtverschiebungen“, urteilte die Organisation: „Der Moment unmittelbar nach dem Kalten Krieg, als die USA unübertroffenen Einfluss besaßen“, sei „vorbei“; die Ära der „multipolaren Welt“ habe begonnen.[12]
[1] Nader Durgham: Half of Sudan’s population faces acute food security, MSF warns. middleeasteye.net 04.02.2025.
[2] S. dazu Nützliche Milizen.
[3] An Emergency for Whom? Oxfam Briefing Note. November 2017.
[4] Oscar Rickett: How the UAE kept the Sudan war raging. middleeasteye.net 25.01.2024.
[5] Beatrice Farhat: Kartoum accuses RSF of looting and destroying Sudan’s heritage: What to know. al-monitor.com 02.04.2025.
[6] Breaches of the Genocide Convention in Darfur, Sudan (April 2023 – April 2024): An independent inquiry. raoulwallenbergcentre.org 14.04.2024.
[7] Diplomatische Offensive nach zwei Jahren Krieg. Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.04.2025.
[8] Sudan paramilitary declares rival government two years into civil war. aljazeera.com 15.04.2025.
[9] Außenministerin Annalena Baerbock am Vorabend der Sudan-Konferenz in London. auswaertiges-amt.de 14.04.2025.
[10] London Sudan Conference, 15 April 2025: co-chairs’ statement. gov.uk 15.04.2025.
[11] Imran Mulla: London conference on Sudan a ‘diplomatic flop’ as RSF declares parallel government. middleeasteye.net 16.04.2025.
[12] Comfort Ero, Richard Atwood: New-Model Proxy Wars. project-syndicate.org 12.06.2023.

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